Udo

Es gibt Angler die fahren nach Holland oder Norwegen für den Fang ihres
Lebens: einem kapitalen Meterhecht! Andere fangen ihn vor der Haustüre-
doch das sind die Wenigsten.
Nichts desto Trotz habe ich eines in meinem Leben gelernt : Lerne von
den Menschen die etwas besser machen als du!
In der Anglerszene ist so eine Weisheit allerdings nicht sehr einfach
umzusetzen. Unter den Anglern meint nämlich so ziemlich jeder dass er
besser bist als du. Alleine über den Neid unter Anglern könnte ich ein
Buch schreiben.
Im Dezember machte ich mich auf Hechtjagd mit dem Angler der die Fische
fängt von denen andere nur träumen....und der hat noch nicht einmal eine
Facebook-Account.
Meterhechte, Welse über 2 m Länge, riesige Karpfen und Zander. Es
gibt vermutlich kein "Traumfisch" den er noch nicht aus dem heimischen
Wasser gezogen hat.  Seine Garage ist voll  mit einer Auswahl  an Ruten
und Rollen dass man sich beim ersten Anblick fühlt 
wie im Angelladen. Auf seiner Angelkiste ist eine Strichliste für die
gefangenen Fische. Mit seinem Kescher könnte er problemlos mich selbst
aus dem Wasser ziehen. Gelegentlich hat man das Gefühl er hätte die
göttliche Intuition zu wissen wann ein Fisch beißen würde.
Manchmal treibt ihn die spontane Eingebung, ein Gefühl dass es heute
beißen würde zu den unüblichsten Uhr-/und Tageszeiten ans Wasser:  Udo.
Manchmal sollte man sollte man ein Mythos einfach ein Mythos sein
lassen, während sich die Gerüchte drumherum gegenseitig übertreffen. Die
Gewässer am mittleren Oberrhein sind schließlich schwer zu beangeln und
von manchem selbsternannten Angelgott dem ich über die 
Schulter schauen durfte, blieb nicht mehr viel übrig als weit in die
Kamera gehaltene Fische, Lebendköder, Besatzfische, Holland, von andern
weitergereichte Fische oder einfach nur eine geschickte
Bildverarbeitung.
Dank Holger weiß ich aber dass die Raubfischjagd auch ehrlich
erfolgreich sein kann. Und zu dieser raren Spezies zählt auch Udo. Ich
habe ehrlich gesagt keine Ahnung wie das funktioniert, aber es klappt:
"10 cm Gummifisch, gelblich....nein eher ins grünlich gehende...
Jigkopf 10 g, auf keinen Fall mehr.... da wo die Kehrströmung ist cirka
2 Meter östlich.... nein etwas schneller!", so unsere Unterhaltungen am
Wasser.
Wehe du vergisst das Stahlvorfach oder hast einen Drilling am Köder!
Und dann, urplötzlich ist sie da: Die göttliche Eingebung wo genau jetzt
ein Zander, ein Wels oder ein Hecht schwimmen könnte und wir wechseln
das Wasser.
Und ich laufe ihm hinterher wie Piggeldy einst Frederick. Am Ende gibt
es immer Fisch oder wenigstens Fischkontakt.  Und so begann im Winter
unsere Jagd nach einem Hecht.
Nach einer seiner Eingebungen wechselten wir mal wieder das
ursprüngliche Gewässer. "Der Köder, 10 g....Stahlvorfach
dran?.....genau da...nein 30 cm weiter links.....langsam kurbeln....",
kam die Anweisung.
Doch nichts biss! " Ein bisschen weiter links!", versuchte Udo mich zu
motivieren. Dann nahm er meine Angel und warf sie an die Stelle wo er
einen Hecht vermutete.
"Und dann ungefähr in der Schnelligkeit einkurbeln...", hörte ich noch
als er die Schnur in zwei Umdrehungen einholte. Bämm!!!
"Dein Hecht!", rief Udo und drückte mir die Rute in die Hand. " Nein,
der hat bei dir gebissen!", rief ich und gab ihm meine Rute wieder
zurück. " Das ist aber deine Rute!", rief Udo. "Und ich will keinen
geschenkten Fisch drillen der bei dir gebissen hat!", sage ich
noch....Doch unsere Uneinigkeit wem der Drill nun zusteht endet damit
dass der Hecht sich vom Haken abschüttelt. Mit langen Gesichtern blicken
wir uns an. Mist! Das hat man also davon wenn man zu nett ist.
Im Januar starteten wir also einen neuen Versuch. Und ich hatte meine
Angel zu Hause vergessen. Und so kam ich unverhofft in den Luxus mit
einer seiner Lieblingsangeln angeln zu dürfen. Gleicher Köder, gleiche
Angel- so ging es los ans Wasser. Mit  2 Meter Covid Abstand liefen wir
das Ufer eines Gewässers ab, weil Udo der Meinung war, hier würde ein
Hecht beißen.
Bereits nach kurzer Zeit hatte Udo den ersten, dann den zweiten
Fischkontakt, dummerweise blieb keiner hängen. Dafür hing mein Köder
erst einmal an einem Ast. Beim überqueren diverser "Hürden" machte sich
dann mal wieder mein fehlendes Talent im Weitsprung bemerkbar.
Der Gummistiefel steckte im Matsch und ich stand in Socken im nassen,
kalten Schlamm. Statt eines Hechtes musste der arme Kerl jetzt meinen
Stiefel aus dem Wasser ziehen. Danach Einwurf und ...nichts passierte.
Stoisch warf ich den Köder ins Wasser gespannt wann es bei Udo wieder
einschlagen würde.
Bämm!! Plötzlich bog sich meine....nein korrigiere....die Angeln von
Udo mit der ich angelte im 90° Bogen nach unten. "Fiiiisch!!" rief ich
aufgeregt. Zu mehr Worten war ich nicht mehr in der Lage, denn das was
da am Gummifisch zog war vermutlich der Fisch meines Lebens.
Mach jetzt bloß kein Fehler!, dachte ich mir. Doch der Fisch zog binnen
Sekunden 1/4 der kompletten Schnur ab. Vielleicht hätte ich mich mit der
Frage wie die Bremse einer fremden Angel funktioniert vor dem Angeln
befassen sollen.  Und plötzlich wusste ich warum mein "größter" Kescher 
von Udo belächelt worden war.
Vor mir schwamm der kapitalste Hecht meiner Fangkarriere und passte
nicht in meinen Kescher. Doch zum Glück hatte Udo ja noch seinen
dabei....
"Da hast als Mann schon schwer dran zu schlucken!", sagte Udo, "wenn
die Frau was fängt und du nicht". Verdient hatte ich ihn wirklich
nicht...mit fremder Angel, fremdem Köder, fremden Kescher und dann auch
noch nachdem Udo heldenreich mich und meinen Stiefel aus dem Schlamm
gezogen hatte. Er hat nur gebissen bei mir!


Und was lernen wir aus diesem Mist?
Dass nur der Fisch der bei dir beißt gefühlt dein eigener ist.