Der 88-Euro-Schneider-Traum

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Der 88- Euro- Schneider-Traum

Bämm! Plötzlich zieht es meine Fliegenrute ins Wasser. Der Fisch hat
auf Anhieb meinen selbstgebundenen Streamer gepackt. Ich hoffe dass die
Schnur hält....Schweißperlen stehen auf meiner Stirn. Dann kommt der
Fisch an die Oberfläche. Ein Hecht, so zwischen 1- 1,50 Meter! Noch
einmal zieht er ab....dann wache ich auf!
Verdammt! Es ist 3 Uhr nachts! in 6 Stunden ist Abfahrt zum Storchensee
in den Elsass!
Hintergrund: Mit einer Gruppe Fliegenfischer habe ich mich zum
Fliegenfischen in Seltz verabredet, das Ganze gepaart mit einer
Challenge, wer zuerst mit einer selbstgebundenen Fliege eine Forelle
rauszieht.
Wochenlang versuchte ich mir daher alle möglichen Vorteilsinformationen
zu beschaffen die mich zumindest neben Fliegen-Guru "Tjaark" nicht
wieder so alt aussehen lassen wie schon mal im Schwarzwald ( 1:21
Forellen !!).
Insgesamt 8 verschiedene Fliegenfischer die schon mal vor Ort waren,
gaben mir folgende Tipps:
- Nimm schwarze Köder!!!
- Nimm weisse Köder!
- Nimm nur bunte Köder ( orange oder rot, evtl. pink!)
- Du brauchst eine Sink-Tipp-Schnur
- Du brauchst eine schwimmende Schnur
- Dort hat es massig Meterhechte! Du brauchst ein Stahlvorfach, große
Streamer und eine 10er Rute!
- Da hat es nur Forellen- ne 5er Rute und ein sinkendes Vorfach
reicht!
- Wooly Bugger in  schwarz!

Manchmal ist es besser nicht zu viel Leute zu fragen....

Ich entschied mich also, in einer Nacht- und Nebelaktion Köder in allen
Farben zu binden...grelle, schwarze, weisse....Den Rest an Ködern kaufte
ich aus Zeitmangel.
Ich entschied mich für ein hechtsicheres Flurocarbon als Vorfach und
nahm am Ende sowohl eine schwimmende als auch eine sinkende Schnur mit.


In Meyers Angeladen gönnte ich mir schließlich noch eine 10er Rute zum
Schnäppchenpreis.

"Bist du dir sicher, dass du damit werfen kannst?", der Inhaber.
"Willst du Lachse angeln? Weisst du wie schwer eine 10er Rute ist?", so
ein anderer  Fliegenfischer.
"Also ich habe ne 10er Rute...aber nach 30 min.  macht mein Handgelenk
nimmer mit...", so die Reaktion des letzten Fliegenfischers der meinen
Kauf ebenfalls skeptisch begutäugt.

Am 30.12.16, morgens um 8 Uhr geht mein Mann in den Garten. Als er
zurückkommt blickt er mich mit großen Augen und zitternder Unterlippe
an.
" Also ich...... Ich gehe heute nicht mehr aus dem Haus!!! Warst du
schon mal draußen???", seine Reaktion.
Egal! Ich, meine 10er Rute und meine  neuen beheizbaren Handschuhe- wir
schaffen das, war ich mir sicher! Immerhin war ich noch von dem
Hecht-Traum vollgepumpt mit Adrenalin! Außerdem hatten wir vier uns alle
fest vorgenommen an Silvester eine französische-selbstgeangelte
Fliegen-Forelle auf den Tisch zu bringen.
Mein Mann verabschiedet mich mit einem "Petri Heil!....Ich gehe aber
mal davon aus dass du am Forellensee etwas fängst!"

Am See angekommen, mussten wir erstmal an einem Automaten löhnen: 22
Euro/Person! Maximal 2 Forellen dürfen entnommen werden- aber nur solche
unter 2 kg......

Na dann....

Am See: Totenstille!. Ein Teil des Sees ist zugefroren! Irgendwo 
zwischen den Eisschichten werfe ich meinen Streamer aus rosanen und
roten Marabou-Federn aus! 
Das Ding läuft im Wasser wie ein Stück zerknülltes Papier.  Als mein
Köder an Land ankommt hat er fast keine Federn mehr dran.
Köder Nummer zwei landet im Baum und hat jetzt Gesellschaft bei fünf
andern Streamern.
Köder Nummer 3 rutscht vom Haken.... und mein Streamer mit den
Wackelaugen verliert beim zweiten Auswurf seine Äuglein.
Nach 15 min. sind meine selbstgebundenen Fliegen dahin! :-(
Doch auch die gekauften will kein Fisch.
Spotwechsel! 
Immerhin Peter hat schon eine Forelle gesehen.
Tatsächlich...nach 20 min: Vor meinen Füßen schwimmt sichtbar  eine Forelle. Auswurf!...... Nix!
Völlig gelangweilt umschwimmt sie jeden Köder den ich noch in meiner
Kiste habe.
Dann erscheint Tjaark mit einer 50er Forelle - selbstverständlich haben
seine Köder gehalten!
Und ich....hänge wieder im Baum.
Auswurf und- irgendwas stimmt mal wieder nicht mit der Schnur.
Die Rutenringe sind eingefroren!
Im Abstand von 10 min. enteise ich wieder und wieder die Ringe.
Immerhin motiviert mich einer der Mitangler, dass ich  ganz schön weit
werfe mit meiner Rute.
Ansonsten hätte ich wohl auch die Rute gewechselt in der Verzweiflung-
allerdings war es so kalt, dass ich meine beheizbaren Handschuhe keine
Minute mehr ausziehen mochte.
Nach 2 Stunden kann ich mein Handgelenk nicht mehr bewegen.
" ...wundert mich nicht. So ne Zweihandrute ist auch ordentlich
schwer!", so Tjaark.
" Zweihandrute?...", murmle ich vor mich hin.
In diesem Moment wird mir klar, warum ich gerade das Vorstadium einer
Sehnenscheidenentzündung erreicht habe.
Nach 4 Stunden ist auch der Akku meiner Handschuhe leer.
Die Kälte zieht durch meine Fußssohlen und mein Handgelenk hängt so vor
sich hin.
Nach 5 Stunden  treten wir die Heimfahrt an. 88 Euro für eine Forelle!
Wenigstens Tjaark konnte  am 30.12 seine Familie ernähren ;-)
Das Gesicht meines Mannes als ich mal wieder schneider nach Hause kam,
mich zitternd vor den Ofen setzte um mit einem Kühlpäckchen mein
Handgelenk zu kühlen - erspare ich mir.

Was lernen wir aus diesem Mist?
Dass bei Minusgraden nicht gut Fliegenfischen ist.
Dass man beim Fliegenbinden nicht am Lack sparen soll,
sonst hat man schnell die Nase voll.
Und wenn ich das nächste Mal beim schneidern 22 Euro verschwende,
nehme ich bei der Zweihandrute, wenigstens  zwei Hände ;-)

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